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Michael Mayer (KIT, michael.mayer@kit.edu) & Anne Nadolny (HSH)
Formate, Mehrwerte und Gelingensbedingungen für die Vernetzung interhochschulischer Middle-Out-Transformierer:innen
idea
Austausch, Fachdisziplin, Hochschulentwicklung, Inter-hochschulische Vernetzung, Interdisziplinarität, Kollaboration, Lehr-Lernformate, Maßnahmen Studieneingangsphase, MINT, Transformation des Lehr-Lernsystems

Um welche Idee, Lösung oder Fragestellung geht es?

Lehrende nehmen im Kontext der transformativen Lehre bedeutsame Schlüsselrollen ein, da sie insbesondere (i) Lehr-Lernsettings entwickeln, umsetzen und validieren, die Absolvent:innen fachkulturell sozialisieren und zukunftsfähig qualifizieren, (ii) top-down-initiiert hochschulische Transformationsprozesse (z.B. Leitbilder) leben und (iii) selbst als Middle-Out-Transformierer:innen (MOT) Veränderungsprozesse vorantreiben. MOT zeichnen sich insbesondere durch gute Vernetzung im Fachbereich und mit dem innerhochschulischen Third Space, Systemwissen, Kreativität sowie hohe Motivation und Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme aus. In MINT-Fächern gehören MOT häufig der Gruppe der Senior Scientists (Walter, 2016) an, wodurch mittel- und langfristige Prozesse begleitet und gestaltet werden können. Die interhochschulische Vernetzung von MOT innerhalb der Fachdisziplin und darüber hinaus weist jedoch hohes Steigerungspotenzial auf und kann Mehrwert (z.B. Perspektivenvielfalt, Austausch von Erfahrungen, gegenseitige Unterstützung, Synergien in der Weiterentwicklung von Lehr-Lernkonzepten und deren langfristige Etablierung, gemeinsame Projekte) kreieren.

Auf der TURN Conference ‘23 fokussierte deshalb der IDEA-Beitrag von Mayer & Nadolny (2023a) auf die Entwicklung von Formaten, die interhochschulische Vernetzung von MOT unterstützen und bspw. den Aufbau eines interdisziplinären Netzwerks ermöglichen. Die Motivation hierfür resultierte aus Erfahrungen der Autor:innen und der Hypothese, dass sich interhochschulische Vernetzungen von MOT in der Praxis eher klassisch (z.B. Tagungsbeiträge, Publikationen) oder zufällig ergeben. Der Kontakt zwischen den Autor:innen hat sich ungeplant durch ein persönliches Gespräch auf einer Tagung ergeben. Im Fokus stand dabei das integrative Training von Schlüsselkompetenzen am Beispiel des Wissenschaftlichen Schreibens (z.B. Weisberg et al., 2022). Der interhochschulische Austausch und die Zusammenarbeit bestehen inzwischen seit mehr als drei Jahren und werden SOTL-affin als sehr wertvoll für Reflektion und Weiterentwicklung bewertet. Die zieldienliche Vernetzung mit weiteren MOT erwies sich bisher im hochschulischen Alltag als herausfordernd und bedarf aus Sicht der Autor:innen der kreativen Entwicklung tragfähiger und akzeptierter Vernetzungsformate. Der Workshop-basierte Austausch auf der TURN Conference ‘23 mit Angehörigen des Third Space sowie Lehrenden bildete den Auftakt, um (i) durch das Tool Entwurfsmuster formale und reflektierte Rahmenbedingungen für die Vernetzung von MOT zu formulieren und (ii) ausgewählte Vernetzungsformate gemeinschaftlich zu entwickeln und umzusetzen.

 

Was haben Sie auf der Tagung und danach selbst weiterentwickelt?

Im Nachgang zur TURN Conference ’23, auf der im Rahmen einer Pitch-Session vom Feedback und den Ideen der anwesenden Teilnehmenden profitiert werden konnte, wurde die Thematik „Interhochschulische Vernetzung von MOT“ auf dem 5. MINT-Symposium (Link: https://mint-symposium.de/) in einem Workshop insbesondere mit MINT-Lehrenden und Angehörigen des Third Space diskutiert. Zudem konnte eine erste Publikation erstellt werden (Mayer & Nadolny, 2023b). Die Autor:innen konnten durch beide Tagungen erkennen, dass die Definition von MOT weiter zu schärfen ist und für die konkrete MOT-Vernetzung insbesondere von erhöhter Perspektivenvielfalt profitiert werden kann.

Gleichzeitig konnten Community-basiert und durch systemtheoretische Denkanstöße (z.B. Reis, 2023) die Rollen der Autor:innen für den weiteren Prozess reflektiert und geschärft werden. Bspw. gilt es für die Autor:innen Prozesskontingenz vs. -ownership kontinuierlich zu reflektieren. Dies wird möglich, indem sowohl offene als auch strukturierte Formate zu Beginn der MOT-Initiative erprobt und gemeinschaftlich evaluiert werden.

Im Kontext von Motivations- und Ressourcenmanagement konnte der Diskurs über Mehrwert und Gelingensbedingungen intensiviert werden. Dabei wurden die folgenden Themen als sehr bedeutsam beschrieben:

  • Im Spannungsfeld „persönlicher Ressourcen“ unterstützt insbesondere zu Beginn einer MOT-Aktivität hoher wahrgenommener persönlicher Mehrwert den Erfolg
  • Barrierefreiheit
  • MOT-typisches Mind-Set:
    • Wertschätzende Grundhaltung (z.B. Feedback und Systemirritation sind wertvoll und werden wertgeschätzt)
    • Gute Lehre und MOT-Arbeitsparadigma sind Kontext-sensitiv
    • Veränderungsbereitschaft
  • Wichtigste Mehrwerte von MOT-Kooperationen:
    • Erhöhte Resilienz durch erhöhte individuelle Motivation, erkannte gemeinsame Stoßrichtungen/Kompetenzen/Interessen (z.B. Drittmittelanträge formulieren)
    • Reflexion über (Rahmenbedingen von) Lehren und Lernen und die konkrete Transformation des Lehr-Lernsystems: Neue Impulse erhalten, Good Practice adaptieren, Herausforderungen und Lösungen für MOT abgleichen und prozessorientierte Unterstützung erhalten, persönliches Netzwerk ausbauen

Auch im Kontext von konkreten gemeinschaftlichen Maßnahmen mit Passungspotenzial ist das methodische Spektrum der Autor:innen erhöht. Die Maßnahmen sind vielfältig und unterscheiden sich bspw. hinsichtlich zeitlichem Umfang (z.B. Kurz- vs. Langfristigkeit), Regelmäßigkeit (einmalige vs. wiederholte Maßnahmen), Teilnehmenden (z.B. regionale Netzwerke, Fachdisziplin-Bezug, thematischer Fokus) oder Format (online vs. onsite Meeting, Tools). Am häufigsten wurden die folgenden Maßnahmen empfohlen:

  • Community of Practice (Wenger-Trayner & Wenger-Trayner, 2015) zur Generierung von Ideen und zur Netzwerkvergrößerung
  • Learning Communities (Brower & Dettinger, 1998) als bestehende/neue Netzwerke mit potenziellen MOT
  • Working Out Load (Stepper, 2015): Strukturierte thematische Arbeit (z.B. Schärfung MOT-Definition)
  • (Online-)Barcamp: Kontingenzstarkes Setting
  • Stammtische
  • MOT-Sessions auf online- oder onsite-Tagungen (z.B. Blind Date, Speed Dating, Fuck-up „Transformation“)
  • Digitale Pinnwände (z.B. angestrebte Kooperationen, Themenfelder, Expertise, Interessen) und Datenbanken
  • Öffnung von hochschuldidaktischen Angeboten
  • Fortbildungen zur MOT-Professionalisierung, z.B. MEDIAN_HE (Link)

Als relevante Netzwerke/Plattformen erscheinen aktuell:

  • Lehre-bezogene Netzwerke (Stiftung Innovation in der Hochschullehre, Link)
  • CampusCommunity Baden-Württemberg (Link)
  • Academic Cloud Niedersachsen (Link)
  • bayziel-Initiative zur Vernetzung von Lehrenden
  • Synergien mit regelmäßigen Online-Angeboten verschiedener Standorte/Regionen (z.B. BrownBag-Lectures am KIT)

 

Welche Fragen sind noch offen, was suchen Sie als Autor:innen des Beitrags?

  • Auswahl von Maßnahme(n) zur konkreten und nachhaltigen Umsetzung. In diesem Kontext wird aktuell diskutiert und entschieden, welche Netzwerke zieldienlich sind, welche Maßnahmen umgesetzt werden und welche weiteren Kooperationsparter:innen gewonnen werden können. (Insbesondere freuen wir uns über Rückmeldungen von Organisator:innen von Tagungen/Workshops, um gemeinsam Rahmenbedingungen auszugestalten.)
  • Prozesskontingenz und -begleitung: Die Bestrebung „Interhochschulische MOT-Vernetzung“ würde von einer externen Coaching- oder SOTL-Prozessbegleitung profitieren. Hier sind die Autor:innen offen für Vorschläge. (Wenn also diese Weiterentwicklung gelesen wird und Interesse besteht, freuen wir uns über Rückmeldungen.)
  • Netzwerkerweiterung
    • Wie kann die MOT-Initiative bekannt gemacht werden oder in bestehende Netzwerke integriert werden?
    • Wird eine Fokussierung (z.B. thematische vs. rollenspezifische Vernetzung) der MOT-Initiative benötigt?
  • Wie kann das Management von Ressourcen innerhalb der MOT-Initiative unterstützt werden?

Wird ein für die mitwirkenden MOT passendes Kooperations-Setting gefunden, so kann die entstehende Schwarmwissen-basierte Kooperation mehr sein als die Summe der Teilnehmenden und interhochschulische Bypässe ermöglichen.

 

Literatur:

Brower, A.M.; Dettinger, K.M. (1998): What is a Learning Community?: Toward a Comprehensive Model. About Campus: Enriching the Student Learning Experience. 3 (5): 15-21. doi: 10.1177/108648229800300504.

Marquardt, E.; Gerhard, U. (2019): „Barcamp adapted“ – gemeinsam zu neuem Wissen. In: Defila, R.; Di Giulio, A. (Hrsg.): Transdisziplinär und transformativ forschen, Band 2, S. 237-258, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27135-0_9.

Mayer, M.; Nadolny, A. (2023a): Formate für die Vernetzung inter-hochschulischer Middle-Out-Transformierer:innen. Pitches “Programme und Formate” im Workshop Design-Thinking, TURN Conference ’23 “Prototyp Zukunft”, 13.-15. Sept. 2023, Köln. Link

Mayer, M.; Nadolny, A. (2023b): Wie gelingt die inter-hochschulische Vernetzung von Middle-Out-Trans-formierer:innen?. In: Tagungsband zum 5. Symposium zur Hochschullehre in den MINT-Fächern. DiNa-Sonderausgabe, 282-288.

Reis, O. (2023): Offenheit und Mut auf dem Weg in die Zukunft. Keynote, TURN Conference ’23 “Prototyp Zukunft”, 13.-15. Sept. 2023, Köln. Link

Stepper, J. (2015): Working out Loud: For a better career and life. Ikigai Press, NY.

Walter, A. (2016): Top-down, bottom-up oder middle-out?. In: Mittleres Management – Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07966-6_7