In
Donnerstag, 03.11.22 / 11:30-13:30 / FH-C18-Audimax
Symposium
Ebene der Organisation
Lehre und Future Skills: Wandel von Struktur und Inhalt?
Sebastian Dippelhofer (Universität Marburg, Deutschland), Kati Hannken-Illjes (Universität Marburg, Deutschland), Anne Kraatz (Universität Marburg, Deutschland), David Piesk (Universität Marburg, Deutschland), Viktoria Ribel-Sencan (Universität Marburg, Deutschland)
Schlüsselkompetenzen, Förderung im Studium, Inter-/Transdisziplinarität, Hochschulstrukturen

Die Frage nach einer zeitgemäßen kompetenzorientierten Hochschulbildung erfährt in Zeiten technologischen, kulturellen und sozialen Wandels eine neue Bedeutung, die sich neuerdings in einem wachsenden Fokus auf „Future Skills“ äußert (Ehlers, 2020; Stifterverband, 2019) – vermittelt etwa über die Lehre (Kopf et al., 2010). Zur Vorbereitung der Studierenden auf ihre mögliche Rolle als künftige gesellschaftliche Funktionsträger (Hartmann, 2004) bedarf es nicht nur einer adäquaten Förderung solcher Skills, sondern auch klarer organisatorischer Einbettungen spezifischer Lehr-/Lernformate. Doch wie wird der Begriff Skills inhaltlich konkret verstanden und von den Studierenden etwa hinsichtlich Prioritäten und Vermittlung wahrgenommen? Bisher erscheinen strukturelle Verortungen, inhaltliche und formale Gestaltungen von Studium und Lehre als zentrale Förderplattformen von Skills unterbeleuchtet und der Diskurs somit unvollständig.

Um dieses Feld offener Fragen konstruktiv aufzugreifen, verortet sich das Symposium im Themenfeld 1 mit dem Ziel, Impulse aus theoretischer, empirischer und struktureller Perspektive zu bieten und zu diskutieren: So erörtert der erste Beitrag auf theoretischer Vergleichsebene, inwieweit die neuen Zuschreibungen bisherige Ziele der Skills neu justieren, ergänzen oder ersetzen. Hieran anschließend erkundet der zweite Beitrag anhand einer repräsentativen Studierendenbefragung den studentischen Blick auf die Förderung von Skills im Studium. Ein dritter Beitrag skizziert, wie an der Universität Marburg das Marburg-Modul die Vermittlung von Future Skills in der Lehre strukturell aufgreift und implementiert. Der letzte Beitrag illustriert die praktische Umsetzung und Öffnung eines solchen Lehr-/Lernformats aus bildungstheoretischer Perspektive.

Dieser mehrperspektivische Zugang bietet differenzierte Impulse aus der aktuellen Organisation und Lehr-/Lernpraxis sowie theoretische Anhaltspunkte für die Frage, wie die Universität auf diesen Diskurs und den Wandel formal wie inhaltlich reagiert und diesen mitgestaltet.

Ehlers U-D, Meertens SA (Hrsg.) (2020) Studium der Zukunft – Absolvent(inn)en der Zukunft Future Skills zwischen Theorie und Praxis. Springer, Wiesbaden

Hartmann M (2004) Elitesoziologie. Eine Einführung. Campus Verlag, Frankfurt

Kopf M, Leipold J, Seidl T (2010) Kompetenzen in Lehrveranstaltungen und Prüfungen. JGU-Publikationen, Mainz

Stifterverband (2019) Hochschulbildungsreport 2019. Schmidt, Ley + Wiegandt GmbH & Co. KG, Lünen

Schlüsselkompetenzen und Future Skills – Alter Wein in neuen Schläuchen?
Viktoria Ribel-Sencan (Universität Marburg, Deutschland)

In Begleitung des Bolognaprozesses hat sich ein neuer Fokus auf den Erwerb von Kompetenzen etabliert. Dieser bildungspolitische Wandel von einer Input- zu einer Outputorientierung ist von Hochschulen in Studiengängen strukturell zu verankern. Ziel von Studium und Lehre ist dabei indes nicht nur die Vermittlung theoretischer Kenntnisse, fachlicher Qualifikationen und deren praktische Umsetzung, sondern auch die Vermittlung fachübergreifender und Schlüsselqualifikationen.

Im Zuge des gesellschaftlichen und dynamisch voranschreitenden digitalen Wandels sowie aktueller und zukünftiger Herausforderungen wird Hochschulen neuerdings auch die Aufgabe zuteil, bei Studierenden „Future Skills“ anzubahnen – und sie damit handlungsfähig für die Zukunft zu machen. Derartige Zielsetzungen werden einerseits aus dem hochschulischen Selbstverständnis heraus formuliert, andererseits im Besonderen seitens ökonomischer Akteure im Kontext von Employability eingefordert.

Dabei stellt sich für Hochschulen und deren Mitglieder nicht nur auf organisatorischer und struktureller Ebene sowie in Lehre und Didaktik, sondern auch in wissenschafts-theoretischer Sicht die Frage, was Future Skills im Unterschied zum traditionelleren und etablierten Begriff der Schlüsselkompetenzen sind.

Eine theoretische Aufarbeitung disziplinärer Sichtweisen und ein Blick auf bildungspolitische Positionspapiere lassen den Schluss zu, dass sich hinter dieser begrifflichen Neujustierung das Phänomen der Schlüsselkompetenzen zu großen Teilen lediglich in neuem Gewand zeigt – eben „alter Wein in neuen Schläuchen“ zu sein scheint: Future Skills weisen Überschneidungen mit Schlüsselkompetenzen auf, die im Kontext der Ökonomisierung der Gesellschaft jedoch neue Zuspitzungen erfahren. Sie erscheinen somit als ein Set flexibler, sich wechselnder Kompetenzen, die den relativ etablierten Kanon klassischer Schlüsselkompetenzen ergänzen.

Förderung von Skills aus studentischer Sicht
Sebastian Dippelhofer (Universität Marburg, Deutschland)

Geprägt vom sozialen Wandel ist die Universität seit jeher aufgerufen, ihn mitzugestalten – etwa über ihre Graduierten, die überproportional häufig gesellschaftliche Schlüsselpositionen einnehmen. Dabei sind nicht nur deren fachliche Kenntnisse und Qualifikationen unabdingbar, sondern auch überfachliche Skills, die während des Studiums erworben werden. Es liegen aber kaum empirische Befunde darüber vor, in wie weit dieser Bildungsauftrag eingelöst wird. So erkundet der Beitrag, wie die Studierenden diese Förderung sehen. Basis ist dabei eine Fragebatterie, die in der 13. Erhebung des Studierendensurveys (N 4392) verwendet wurde und in 14 Items drei Dimensionen präsentiert: Methoden und Fachlichkeit, Beruf und Interdisziplinarität, sozial-kommunikative Skills.

Die Studierenden stellen der Universität in fast allen Aspekten ein gutes Zeugnis aus: Indem sie auf der siebenstufigen Antwortskala Vorgaben jenseits der theoretischen Skalenmitte wählen, zeigt sich die Wahrnehmung einer überdurchschnittlichen Förderung bei methodisch-fachlichen und sozial-kommunikativen Skills; weniger bei beruflich-interdisziplinären und einzelnen sozial-kommunikativen Kompetenzen. Bei Geschlecht und Bildungsherkunft gleichen sich die Urteile an. Dazu treten partielle Effekte in Abhängigkeit von politischen Orientierungen und berufsbezogenen Vorstellungen: Je politisch interessierter die Befragten sind, desto mehr Förderung nehmen sie seitens des Studiums und der Lehre wahr; das gilt ferner, wenn feste Berufspläne vorliegen. Auch die Semesterzahl wirkt signifikant: Je länger studiert wird, desto mehr wird das universitäre Bemühen goutiert. Das spiegelt sich bei der Zufriedenheit mit den Noten und dem Studierendenstatus. Von herausragender Bedeutung sind aber die Fachunterschiede: In der Rechtswissenschaft und der Medizin sieht man sich deutlich weniger gefördert als in den Vergleichsgruppen – zumal bei sozial-kommunikativen Skills.

Insgesamt zeigen die Befunde das Potential der Universität, höchst unterschiedliche Skills zu fördern. Je länger die Studiendauer ist, desto ausgeprägter gelingt dies. Eine günstige Studiensituation, Berufsvorstellungen sowie politische Haltungen der Studierenden tragen ebenso dazu bei. Deutlich wird auch die Rolle der Fachkulturen, um diesen Bildungsauftrag erfolgreich einzulösen – das spricht für die Notwendigkeit, deren Lehr-Lern-Kontexte eingehend zu erkunden und auch in praxisnahen Bemühungen zu würdigen.

Inter- und transdisziplinäres Arbeiten an der Universität: Das Marburg-Modul – ein Praxisbeispiel
Anne Kraatz (Universität Marburg, Deutschland)

Um Studierende zur aktiven Mitgestaltung gesellschaftlichen Wandels zu befähigen, benötigen sie Werkzeuge zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen. Hier haben Universitäten die Aufgabe, geeignete und im Studienkanon verankerte Lehr-Lern-Formate zu entwickeln, die die dafür benötigten Future Skills (Ehlers 2019) gezielt fördern.

An der Philipps-Universität Marburg wurde hierfür das inter- und transdisziplinär angelegte Marburg-Modul entwickelt und als ein zentraler Teil im Bachelorstudium implementiert. Institutionell eingebettet in einem MarSkills-Center können Studierende unterschiedlicher Fächer in gemeinsamen Projekten gesellschaftliche Herausforderungen auf wissenschaftlicher Ebene bearbeiten und ihre Ergebnisse am Ende des Semesters öffentlich präsentieren. Mögliche Themen werden von Sponsor*innen vorgeschlagen – neben Lehrenden und Studierenden können dies auch gesellschaftliche Akteure sein –, in einem BarCamp vorgestellt, ausgewählt und von den Studierenden in interdisziplinären Gruppen selbstbestimmt bearbeitet. Dabei werden sie von Lehrenden begleitet und nutzen digitale Microlearning-Angebote, die das Kompetenz-Repertoire der Studierenden erweitern.

Gefördert werden durch dieses Format subjekt-, objekt- und organisationsbezogene Future Skills (Ehlers/Meertens 2020) – etwa durch die Erfahrung einer gestaltenden Rolle, die selbstbestimmte Organisation und Zusammenarbeit in disziplinübergreifen-den Teams, die Auseinandersetzung mit differenzierten Reflexionsvorgängen und kreativen wie kooperativen Arbeitsprozessen.

Bisherige Evaluationen des Marburg-Moduls zeigen eine hohe studentische Zufriedenheit und Akzeptanz dieser Studienform. Die curriculare Verankerung des Moduls und strukturelle Organisation durch das MarSkills-Center ermöglichen eine konsequente Förderung von Future Skills sowie die kontinuierliche Entwicklung dieses Formats.

„Open Stage“: Ein innovativer gesellschaftlicher Lernraum im Marburg Modul
David Piesk (Universität Marburg, Deutschland)

Die Open Stage beschreibt ein innovatives Lehr-Lernformat im Marburg Modul, das durch inter- und transdisziplinäre Diskussionsformate Studierende dazu anregt, gesellschaftlich relevante Fragestellungen wissenschaftlich zu entwickeln und kontrovers zu erörtern. Dabei zielt die Open Stage auf den Erwerb mündigkeitsorientierter Kompetenzen, die an Schlüsselprobleme der Gesellschaft geknüpft werden.

Als Seminarformat angelegt, erarbeiten sich die Studierenden unter Anleitung von Lehrenden zu Beginn grundlegende theoretische Konzepte wie bspw. „Mündigkeit“, „Bürgerkompetenz“ und „Transdisziplinäre Projektarbeit“, die in interdisziplinärer Perspektive diskutiert werden. Nach der Konzeption möglicher Projektthemen (z. B. die Zukunft der Arbeit, Klimawandel) und der Entscheidung für ein Projekt, arbeiten die studentischen Teams eigenverantwortlich an Fragestellungen, die jeweils auf eine von ihnen inhaltlich wie formal organisierte Diskussionsveranstaltung in der zweiten Semesterhälfte abzielen. In regelmäßigen Treffen informieren sich die Studierenden gegenseitig über die Projektstände. Gezielte Coachings durch die Seminarleitung im Feld der Projektarbeit, kreative Diskussionsmethoden, Rhetoriktrainings und Planungsfähigkeit unterstützen die Studierenden. Seminarbegleitende E-Portfolios sollen in diesem Zusammenhang Kompetenzerwerb und studentische Reflexionsprozesse ermöglichen.

Dies bietet ein didaktisch-methodisches Setting, das den Erwerb von Schlüsselkompetenzen – bspw. Argumentations- und Reflexionskompetenzen – in einen sozial-kommunikativen Bezugsrahmen stellt und einen kritischen Blick gegenüber eigenen, oft disziplinspezifisch geprägten, Perspektiven schärft. So üben sich die Studierenden in ihrer Rolle als mündige Bürger*innen, die zu Perspektivenwechsel befähigt und zur Gestaltung gesellschaftlichen Wandels angeregt werden.