Ingenieur*innen sind mehr denn je gefordert mit einem rasanten technologischen Wandel und den gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen umzugehen. Zahlreiche Publikationen beschreiben im Zuge dessen den Bedarf an übergreifenden Kompetenzen, sogenannten Future Skills, deren Aufbau nur interdisziplinär zu bewältigen ist. Ingenieurwissenschaftliche Studiengänge werden jedoch vornehmlich von Ingenieur*innen entwickelt und betrieben, die eine fachlich tiefe Expertise ausweisen, diese schätzen und sich damit identifizieren. Ebenso ist ihnen die klassische Ingenieurausbildung mit Fokus auf der Ausbildung solider Fachkompetenzen und naturwissenschaftlichen Grundlagen vertraut. Ein Verständnis für die Relevanz von Future Skills hat in den letzten Jahren zugenommen, jedoch werden diese meist als eine Art Zusatz zu den bestehenden Kompetenzzielen verstanden, manche sehen sie gar als Kompetenzen, über die Ingenieur*innen ohnehin schon immer verfügten. Entsprechend werden sie in der Studiengangentwicklung kontrovers diskutiert und mehr oder weniger berücksichtig – in den seltensten Fällen dürfen dafür fachliche Grundlagen “geopfert” werden.
Vor diesem Hintergrund verhaftet Studiengangreform oftmals in einer kosmetischen Anpassung bestehender Konzepte und Inhalte. Was wird also gebraucht, um Raum zu schaffen für eine kreative und offene Studiengangentwicklung, die neue Studiengangkonzepte hervorbringt, in der Future Skills nicht vermittelt, sondern erfahrbar gemacht und gelebt werden?
Die Autorinnen stellen einen inter- und transdisziplinären Studiengangentwicklungsprozess vor und beschreiben die immersive Vorgehensweise des inter- und transdisziplinär zusammengesetzten Teams. Im Rahmen des Beitrags wird beleuchtet, welche Gelingensbedingungen für die Entwicklung und Implementierung des neuartigen Konzepts Bedeutung hatten. Abgeleitet werden weiterführende Überlegungen zur Überwindung potenzieller Hürden sowie der Übertragbarkeit auf andere/weitere Studiengangentwicklungsprozesse.
Die ingenieurwissenschaftliche Lehre befindet sich seit einigen Jahren im Fokus bildungspolitischer Diskussionen. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass das Arbeitsfeld angehender Ingenieur*innen zunehmend komplexer wird und rasante technologische Transformation adaptieren wie auch gesellschaftspolitischen Anforderungen gerecht werden muss. Dies erfordert wiederum die Entwicklung und Förderung von Qualifikationen, die in klassischen Ingenieurstudiengängen oft noch nicht konsequent adressiert werden, wenngleich zahlreiche Fachverbände dies seit einigen Jahren zunehmend fordern. Wie aber kann ein Curriculum eines Ingenieurstudiengangs aussehen, das diesen Anforderungen gerecht wird?
Der vorliegende Beitrag bietet Einblicke in das Curriculumkonzept des neuartigen BSc. Maschinenbau- Product Engineering and Context, der auf die konsequente Verzahnung disziplinärer sowie inter- und transdisziplinärer Kompetenzen abzielt. Der Studiengang manifestiert sich durchgängig in drei Kompetenzebenen: Future Engineering, Skills and Principles sowie Reflection. Zentrales Element der Kompetenzentwicklung ist die individuelle, kollektive und supervisorische Reflexion des Lehr-/Lernprozesses auf einem hohen Taxonomie-Niveau. Durch eine systematische und konsequent eingebundene Reflexion der fachlichen, methodischen und überfachlichen Fähigkeiten ermöglicht die (Weiter-)Entwicklung sogenannter Future Skills der Studierenden. Der Kompetenzzuwachs wird in Form von Performanz-Prüfungen gesichert. Lehrende nehmen in der Gestaltung des Lehr-/Lernsettings die Rolle der Facilitator und Supervisoren ein, während Studierende Verantwortung für ihre eigene Kompetenzentwicklung übernehmen.
Die Autorinnen beschreiben die spezifische Struktur, stellen entlang dieser die methodischen Ansätze und wesentliche Elemente dar und fokussieren die Bedeutung und Umsetzung der Reflection-Ebene als Instrument für die Supervision und formale Prüfung der individuellen Kompetenzentwicklung der Studierenden.
Die Ingenieurwissenschaften befinden sich an zahlreichen Hochschulen seit mehr als einer Dekade in kontinuierlichen Change-Prozessen. Im besonderen Fokus steht dabei häufig die Studieneingangsphase, auch aufgrund immer noch hoher Abbruchquoten in den ersten beiden Semestern. Die Studieneingangsphase beinhaltet zahlreiche Grundlagenfächer und gilt für Studierende der Ingenieurwissenschaften als besonders herausfordernd.
Der Modell-Studiengang B.Sc. Maschinenbau Product Engineering and Context adressiert mit einer völlig neuen Studiengang- und Modulstruktur den ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzentwicklungsprozess mit Blick auf die Anforderungen der Zukunft. Ein zentrales Element sind die ‘Engineering Labs’ der ersten drei Semester, die alle Grundlagen miteinander verzahnen. Statt in einer modularisierten Struktur Grundlagen verschiedener Fachdisziplinen zu lehren, wird jedes Semester eine Case Study zu einem digital vernetzten mechatronischen Produkt durchgeführt. Entlang der Systems Engineering Methodik werden diese zunehmend komplexer. Die Studierenden entwickeln eigenständig ein Produkt und erschließen sich dabei die Notwendigkeit ingenieurwissenschaftlicher Grundlagen, die neben technischen Fächern auch ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Fragestellungen beinhalten.
Das handlungsorientierte Lehr-/Lernsetting ist so aufgebaut, dass die Studierenden sich auch die Projektziele, -struktur und Outcomes der jeweiligen Case Study eigenständig in Teams und mit geeigneten Methoden erarbeiten müssen. Statt Aufträge zu bearbeiten, lernen sie, geeignete und zugleich notwendige Fragen zu stellen und relevante Quellen, Wissensbestände und Methoden aus den jeweiligen Fachdisziplinen heranzuziehen, diese in einen Bezug zu setzen und anzuwenden.
Der Beitrag stellt das Konzept der Case Studies vor und bietet Einblicke in den co-kreativen Prozess der Auflösung klassischer Modulstrukturen und Lehrkonzepte hin zu Umsetzung eines konsequent integralen Lehr-/Lernsettings.